"Nichts heißt keine Farben" von Julia Göricke

GEDICHTE & GEDANKEN ÜBER POESIE

Übersetzung aus dem Georgischen von Steffi Chotiwari-Jünger und Artschil Chotiwari

Gedicht – Das ist ein relativ kurzer literarischer Text, in dem die Sprache oftmals gereimt und in Versen organisiert oder auch völlig frei eingesetzt wird, um eine künstlerische Aussage zu machen oder eine bestimmte ästhetische Wirkung zu erzielen. So definiert das Internet den Begriff „Gedicht“. Doch, dass ein Gedicht mehr als nur ein kurzer literarischer Text ist, in dem hin und wieder ein Reim auftaucht, beweist Esma Oniani mit ihren Werken.

Diese wären der Allgemeinheit vorenthalten geblieben, wäre da nicht die Schwester der Autorin gewesen, die ihre Gedichte und Gedanken nach dem Tod von Oniani in einem Buch herausgab. Dank der Übersetzungen aus dem Georgischen von Steffi Chotiwari-Jünger und Artschil Chotiwari können nun auch die deutschen Leser/-innen davon profitieren. Das Werk „Nichts heißt keine Farben“ beinhaltet sowohl eine Gedichtsammlung, als auch Gedanken über die Poesie Onianis, die 2014 veröffentlicht wurden.

Die vielfältigen Gedichte bilden eine tiefsinnige Mischung aus georgischer Kultur, Geschichte und Tradition in Kombination mit der Natur und ihren Phänomenen. Dabei ist es schwierig ein gemeingültiges Thema der Dichtungen zu formulieren, da mit Ort, Zeit und Emotionen gespielt wird. Klingt ein Gedicht mystisch, geheimnisvoll und übersinnlich, strotzt das nächste nur so von Leidenschaft und Sehnsucht. Der Inhalt variiert von Gedicht zu Gedicht und passt somit in keine allgemeine Zusammenfassung. Ein engstirniges Generalisieren wäre für eine solche Gedichtsammlung, wie in diesem Fall, unangebracht.

Eines ist jedoch bei allen gleich: Die detaillierte und intensive Wortwahl macht aus einem knapp erscheinenden Gedicht eine schier endlos scheinende Geschichte. Man fällt von einem Wort ins nächste und zu dem Bild, welches sich zwangsläufig im Kopf entwickelt, gesellen sich immer neue Details. Dabei wird jedoch keineswegs nur auf komplizierte und komplexe Sprache zurückgegriffen. Im Gegenteil, die Sprache tut dem Verständnis zu keiner Zeit einen Abbruch.

Für Fans des Offensichtlichen würde ich eher von diesem Werk abraten, da die Gedichte oftmals gerade von der Abstraktion und teilweise auch Fiktion leben. Will man sich nur oberflächlich berieseln lassen, so genügt ein einmaliges Lesen. Will man jedoch dem tiefgründigen Sinn und den gedankenreichen Hintergründen näher kommen, so erreicht man dies häufig nur durch mehrfaches Lesen. Das gilt allerdings nicht nur für die Gedichte. Auch um die kritischen und differenzierten Gedanken der Autorin über die Poesie nachvollziehen zu können, bedarf es gelegentlich einer Wiederholung. Die zum Teil philosophischen Ansätze der Autorin zur Poesie geben gleichzeitig Interpretationsansätze für ihre Gedichte. Erfasst man, was Oniani unter Poesie versteht, versteht man auch ihre Werke.

Wenn man Interesse an Gedichten, Lust am Nachdenken und Liebe am Verborgen mitbringt, dann ist das Buch genau das richtige. Demnach spricht das Buch auch keine genau festgelegte Zielgruppe an.  Vielmehr ist es von Bedeutung sich fallen lassen zu können,  die Gedanken über das Gelesene schweifen zu lassen und auch zwischen den Zeilen zu ergründen. Vorwissen über die georgische Geschichte ist keine Pflicht, wenn auch nicht sinnlos. Vielmehr ist das Ziel dem deutschen Leser georgische Literatur näherzubringen.